„Moderne Form der Sklaverei“

11.8.2009 – 12:14 Uhr
von P. Berger, M. Pesch und T. Stinauer

Die 38 rumänischen Bauarbeiter, die derzeit die ehemalige Lagerhalle 11 im Rheinauhafen zu Luxuswohnungen umbauen, sind offenbar nicht die Einzigen, die unter fragwürdigen Umständen von der Firma Exact-Bau in Lohmar beschäftigt werden. Der Handwerkskammer Köln-Bonn liegen 157 Anträge von rumänischen Staatsbürgern auf Eintragung ins Gewerberegister vor. Alle sind von der Gewerbemeldestelle Siegburg bereits registriert worden, alle haben entsprechende Bescheinigungen erhalten, und alle „Unternehmen“ haben eine Geschäfts- und Wohnadresse auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Siegburg.

„Wir gehen davon aus, dass alle inzwischen als Scheinselbstständige auch auf Baustellen tätig sind“, sagt Ortwin Weltrich, Präsident der Handwerkskammer. Dass sich 157 Gewerbebetriebe in einem Wohnwagen und einer angrenzenden Baracke ansiedeln könnten, sei wenig plausibel. Es sei ärgerlich, dass derartige Sammelanmeldungen immer noch entgegengenommen würden, so Weltrich. Exact-Chef Jürgen Weinert bestätigte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass er seit Januar rund 150 Anträge auf Eintragung ins Gewerberegister bei der Handwerkskammer Köln gestellt habe. Darüber sei noch nicht entschieden. Der Eintrag ist für eine Arbeitsaufnahme allerdings nicht erforderlich. Insgesamt sei er auf 15 Baustellen, darunter acht in Nordrhein-Westfalen, als Subunternehmer aktiv, bestätigt Bauunternehmer Weinert. Die 38 Arbeiter, die derzeit im Rheinauhafen arbeiten, seien in drei Gewerken – Eisenflechter, Betonbauer, Einschaler – organisiert und würden den Aufträgen entsprechend bezahlt. „Die Eisenflechter beispielsweise pro Tonne“, so Weinert. Sie erhielten zunächst Abschlagszahlungen, abgerechnet werde nach Beendigung des Auftrags. Kölns DGB-Chef Wolfgang Uellenberg-van Dawen hat die Arbeitsbedingungen als „skandalös“ bezeichnet. Maternus Burauen, Bezirkssekretär der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), sprach sogar von „moderner Form der Sklaverei“. Sie und weitere Gewerkschaftsvertreter zeigten sich gestern bei einer Demonstration auf der Baustelle solidarisch mit den Arbeitnehmern aus dem Osten. Für Uellenberg ist der Stundenlohn von 7,50 Euro, den die Arbeiter angeblich von der Firma Exact erhalten, „ein klarer Gesetzesverstoß“. In seinen Augen fallen die Rumänen als Werkvertrag-Arbeitnehmer unter das Entsendegesetz, und sie müssten daher „mindestens 10,20 Euro“ bekommen. Von einer selbstständigen Tätigkeit der Männer, wie sie von Exact vorgegeben werde, kann laut Burauen keine Rede sein. „Die Merkmale dafür sind in keiner Weise erfüllt“, so der Gewerkschaftssekretär. Weder dürften sie beispielsweise selbst bestimmen, wann sie arbeiten, noch könnten sie Rechnungen schreiben. Die IG Bau vertritt nach seinen Worten derzeit 14 Arbeiter. Auf der Baustelle arbeiteten aber insgesamt mehr als 30 Männer unter den gleichen Bedingungen; die übrigen trauten sich offenbar nicht, sich den Arbeitsbedingungen zu widersetzen. „Es wäre im Interesse des gesamten Rheinauhafen-Projektes, wenn dieses Problem rasch gelöst würde“, betonte Uellenberg-van Dawen. Der Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel bestätigte: „Im Rahmen von Ermittlungen spielt Exact-Bau eine Rolle.“ Es gehe um Vorwürfe wie Betrug und sowie das „Vorenthalten von Geldern, auf die man als Arbeitnehmer Anspruch hat“, sagte Apostel. So soll der Firmenchef vorgetäuscht haben zu zahlen, dies aber nicht getan haben. Die Vorwürfe würden bei der Staatsanwaltschaft geprüft, ein Ergebnis liege noch nicht vor, betonte der Oberstaatsanwalt. Schlagzeilen macht das Lohmarer Unternehmen schon seit einigen Monaten. Anfang Oktober protestierten 26 rumänische Bauarbeiter, die für Exact-Bau in Ratingen ein Ärztehaus hochziehen sollten. Auch sie hatten seit Wochen keinen Lohn erhalten. Ähnliche Klagen kamen im Juli aus Aachen: Dort hatten zeitweise neun rumänische Arbeiter gestreikt, weil sie für ihre Arbeit an einem neuen Einkaufszentrum angeblich schon länger kein Geld mehr gesehen hatten. Ein Insider aus der Baubranche beschreibt, wie manche Baufirmen die Wanderarbeiter aus Rumänien und Ungarn austricksen: „Denen werden an der Grenze Papiere in die Hand gedrückt, die sie unterschreiben sollen, und die Leute tun das. Sie denken, das sind Einreiseformulare oder harmlose Personalpapiere. In Wahrheit sind es aber Gewerbeanmeldungen.“ Die Arbeiter gelten somit arbeitsrechtlich als Selbstständige. „Tatsächlich sind sie das natürlich nicht“, berichtet der Insider. „Die sind voll und ganz abhängig von der Baufirma und deren Aufträgen. Als Selbstständige müssten die ja außerdem eine Steuererklärung abgeben. Wie soll das gehen? Die verstehen ja kein Wort Deutsch.“
Weiterführender Link: http://www.ksta.de/html/artikel/1195816879863.shtml