Nervenkrieg in Degerloch – Noch immer sitzen zehn Polen in Degerloch fest – Gewerkschafter verhandelt erbittert um die ausstehenden Löhne

20.12.2006 – 12:1 Uhr
von Ulrich Stolte in „Blick vom Fernsehturm“ 20.12.2006

Degerloch. Mit immer neuen Finten versucht die Firma Uma Strnad, zehn polnischen Bauarbeitern die Löhne vorzuenthalten. Seit Dienstag steht die Gewerkschaft in einem erbitterten Nervenkrieg, um den Arbeitern zu helfen. Immer wieder hält sich Nikolaus Landgraf das Handy weit weg vom Ohr. „Jetzt brüllt sie wieder“, sagt er. Aber der Gewerkschafter lässt nicht locker, verhandelt weiter mit Uma Strnad, versucht von den ausstehenden 11 000 Euro Lohn zumindest einen Teil zu bekommen, damit die Arbeiter nach Hause können. Noch vergangenen Freitag hatte Uma Strnad 4000 Euro zugesagt. Es kam nichts.

Nun behauptet die Stuttgarter Geschäftsfrau, von den 4000 schon 1600 Euro überwiesen zu haben. „Das Konto ist aufgelöst“, kontert Landgraf – die Geschäftsfrau windet sich: Die Bankangestellte müsse einen Fehler gemacht haben – „Dann komme ich vorbei und hole die 2400 Euro in bar ab.“ Landgraf will es wissen. Uma Strnad lehnt ab. Sie will mit Kasimir sprechen. Das Geld hat sie Kasimir überwiesen, der hat die Rechnung gestellt, behauptet sie. Doch es ist eine computergeschriebene Rechnung, und Kasimir besitzt keinen PC. Die Rechnung hat sie sich selbst gestellt, vermutet Landgraf. Eine Dolmetscherin hilft. Kasimir weißt nichts von Geld. Jetzt behauptet Uma Strnad, die anderen Bauarbeiter im Arbeiterwohnheim hätten Kasimir überfallen und ihm die 1600 Euro geklaut. Jetzt platzt der Dolmetscherin der Kragen: „Lüge“ brüllt sie in das Handy, „das ist doch alles Lüge, wir machen das Thema jetzt zu.“ Malgorzata Zambron ist vom Europäischen Verband der Wanderarbeiter (EVW). Sie ist drei Tage in Stuttgart, um den polnischen Bauarbeitern zu helfen. Schon ihr Vater saß für die Solidarnosc im Gefängnis. Sie wird diese Nacht nicht schlafen können, zu sehr nimmt sie das alles mit. Seit einem Jahr tingelt sie über Deutschlands Baustellen und ist mit den schlimmsten Formen der Ausbeutung konfrontiert. „Es ist immer schlimm“, sagt sie, „ich kann immer nicht schlafen.“ 13 dieser krassen Fälle hatte der IG-Bau-Geschäftsführer Nikolaus Landgraf in diesem Jahr, über hundert Bauarbeiter waren betroffen. Er tritt ins Wohnzimmer und lässt das Gespräch übersetzten. Es wird ruhig. Man merkt den Männern den Nervenkrieg an. Sie können mit der Situation nicht umgehen. Es ist schlimm für sie, nichts zu tun zu haben. Ihr Stolz macht es ihnen schwer, Almosen anzunehmen. „Wir sind nicht gekommen, um zu betteln“, sagt Robert Jedrzejewski, „wir sind gekommen, um zu arbeiten“. Er steht auf. Er erzählt von seiner Frau, die nach einer Operation eine Rehabilitation braucht, die er sich hier erarbeiten wollte. Dann schweigt er. Dann geht er an das Fenster, damit man sein Gesicht nicht sehen kann. Die meisten der Bauarbeiter, die hier in Degerloch mittellos gestrandet sind, haben zwei oder drei Kinder. Manche waren arbeitslos und mussten sich sogar Geld leihen, um die Fahrt nach Deutschland zu bezahlen. Am schlimmsten ist für sie das Ende ihres Traumes. Sie wollten in Deutschland gutes Geld verdienen und als reiche Männer zurückkommen. Jetzt werden sie wie Verlierer dastehen. Können sich nicht mal Weihnachtsgeschenke leisten, stehen vor einem Berg Schulden in Polen, denn ihre Familien mussten Geld leihen für ihren Unterhalt. „Es ist ein alter Trick“, sagt Rita Raaber, die zweite Dolmetscherin des EVW. Sie hat das oft erlebt. Gerade vor Weihnachten werden die Löhne nicht gezahlt. Die Firmen nutzen aus, dass die Arbeiter nach Hause wollen. Wenn sie erstmal in ihren Heimatländern sind, dann erheben sie meistens keine Forderungen mehr. Nikolaus Landgraf kommt mit einem neuen Vorschlag ins Zimmer. Uma Strnad zahlt 4000 Euro, wenn die zehn Arbeiter auf alle rechtlichen Ansprüche verzichten. Die Arbeiter lehnen ab. Landgraf ruft noch einmal an. Das Telefonat ist kurz, seine Mitteilung auch: „Jetzt spricht sie nicht mehr mit uns.“ Er lässt von der Gewerkschaft Vordrucke kommen, mit denen die Bauarbeiter die Firma anzeigen können. Geld ist immer noch nicht in Sicht. Der Nervenkrieg geht weiter. Spenden unter „EVW“, Kontonummer 1 094 990 902 Bankleitzahl 500 101 11, SEB Frankfurt „Stichwort Degerloch“.