ARBEITNEHMERHAFTUNG – Zwangsarbeit in Deutschland abgeschafft

3.10.2004 – 21:43 Uhr

Auf deutschen Feldern und in deutschen Weinbergen wird gerade zur Erntezeit mehr polnisch, tschechisch und rumänisch gesprochenen als deutsch. Hiesige Landwirte greifen nämlich gerne auf ausländische Arbeitnehmer aus den Staaten Osteuropas zurück.

Leider gibt es darunter auch Landwirte, die diese ausländischen Landarbeiter fast wie Leibeigene behandeln. Die Leibeigenschaft wurde jedoch in Deutschland schon vor rund 150 Jahren aufgehoben – offiziell jedenfalls.
Jetzt steht diesen ausländischen Erntehelfern eine schlagkräftige Interessensvertretung, der Europäische Verband der Wanderarbeiter (EVW), zur Seite. Ein krasses Beispiel aus den letzten Sommertagen 2004 beweist, wie dringend diese Menschen auf den Verband angewiesen sind.
Ein polnischer Abiturient, der nach dem Schulabschluss in der deutschen Landwirtschaft Geld verdienen wollte, soll während der Arbeit in der Gemüsehalle einen Schaden angerichtet haben. Daraufhin teilte ihm der Landwirt mit, für diesen Schaden hafte er in voller Höhe und er müsse jetzt solange umsonst arbeiten, bis der Schaden abgearbeitet sei.
So nicht! Grundsätzlich ist es falsch, dass Arbeitnehmer immer für die Schäden haften, die sie verursachen.

Leichte Fahrlässigkeit
Trifft den Arbeitnehmer nur leichte Fahrlässigkeit, ist sein Verschulden also gering, so haftet er grundsätzlich überhaupt nicht. Solche leichte Fahrlässigkeit gehört zu dem Betriebsrisiko, das ausschließlich der Arbeitgeber zu tragen hat.

Grobe Fahrlässigkeit
Selbst bei grober Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber geteilt und der Arbeitnehmer haftet in der Regel mit nicht mehr als 3 Brutto-Monatslöhnen. Verdient der Arbeitnehmer also monatlich € 1.500,00 brutto und verursacht grob fahrlässig einen Schaden in Höhe von € 20.000,00, so haftet er lediglich mit maximal
€ 4.500,00.

Gröbste Fahrlässigkeit
Lediglich bei gröbster Fahrlässigkeit und wenn ein Schaden vorsätzlich herbeigeführt wird, haftet der Arbeitnehmer alleine und unbeschränkt. Gröbste Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn selbst ein schlichtes Gemüt sich gedacht hätte „das kann nicht gut gehen“ und sich vernünftiger als der Schädiger verhalten hätte. Gröbste Fahrlässigkeit wäre z. B., wenn ein Kranführer die Überlastsicherung bei seinem Kran abstellt und der Kran dann umstürzt. Gröbste Fahrlässigkeit würde auch dann vorliegen, wenn ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit Anhänger im Straßengraben landet, weil es zu 100% überladen wurde und mit abgefah-renen Reifen bei Regenwetter auf einer abschüssigen Straße ins Schleudern kommt.

Pfändungsfreigrenzen
Aber auch dann haftet der Arbeitnehmer nur im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen. Bei einem ledigen Arbeitnehmer ohne Kinder beträgt die Pfändungsfreigrenze im Monat netto 939,99 EUR; bei einem verheirateten Arbeitnehmer 1.289,99 EUR und bei einem verheirateten Arbeitnehmer mit einem Kind sogar 1.489,99 EUR.
Diese Beträge müssen dem Arbeitnehmer also immer bleiben, selbst wenn er gröbste Fahrlässigkeit an den Tag gelegt hat.

Im Übrigen gibt es in Deutschland keine Zwangsarbeit. Wenn der Arbeitgeber glaubt, einen Schadensersatzanspruch gegen einen Arbeitnehmer zu haben, dann muss er diesen einklagen. Es ist verboten, den Arbeitnehmer ohne Gerichtsurteil zur Arbeit zu zwingen, bis der Schaden reguliert ist.
In unserem Fall aus diesem Sommer holte der EVW zusammen mit dem örtlichen IG BAU-Bezirksverband den polnischen Kollegen von dem Betrieb weg, befreite ihn somit aus seiner misslichen Lage und brachte ihn auf den Heimweg nach Polen. Inwiefern der Landwirt seine Forderung aufrechterhalten wird, bleibt abzuwarten. Der junge Pole weiß jedenfalls seine Belange beim EVW gut aufgehoben.

Rechtsanwalt Heinrich Jüstel
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kooperationspartner des EVW
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